Congost de Mont-rebei
Der Wecker klingelt um sieben Uhr dreißig, denn wir wollen vor dem Haupt-Besucherstrom in der Schlucht sein.
Und wir schaffen es, unser Vorhaben beim Weckerklingeln nicht zu kippen - sind aber kurz davor - und so fahren wir auch schon bald der aufgehenden Sonne entgegen.
Wenn die Sonne vor einem aufgeht, ist es an sich ja schon total schön, aber hier in den Bergen ist es noch viel schöner.
An der Nordspitze der Schlucht angekommen, können wir von der Straße aus die Schlucht und die rechts und links davon aufragenden Berge sehen. Wie aufregend!
Da werden wir gleich herunwandern! Momentan schauen wir noch von oben auf den Nebel, der in der Schlucht festhängt.
Wir parken auf einem Sandparkplatz und bereiten unser Wegeproviant zu.
Wir überlegen, ob wir das Auto hier stehen lassen und von hier mit den Rädern weiterfahren, aber an der Einfahrt zum Parkplatz stehen zwei Pfähle und liegt eine Kette auf dem Boden.
Wir haben Sorge, dass der Platz privat ist und die Kette mit einem Schloss gesichert werden könnte, während wir weg sind.
Also fahren noch ein Stück weiter auf der schmalen Straße Richtung Haupteingang und hoffen, dass wir zur Not wenden könnten, wenn wir gar keine Parkmöglichkeit finden.
Es ist immer ein bisschen stressig, unwissend eine enge Straße in den Bergen zu fahren. Es ist kein Vergnügen, wenn man so nahe am Abgrund auch noch lange rückwärts fahren müsste. Oder - noch schlimmer - wenden muss!
Jetzt genießen wir aber trotzdem erstmal die schönen Ausblicke!
Wir haben Glück und entdecken einen geräumigen Seitenstreifen. Es ist noch nichts los hier heute morgen.
Nun müssen nur noch ein kleines Stück bis zum Eingang radeln, die Räder an der Schranke zum Parkplatz vorbeischieben und hinunterrollen zum Eingang der Schlucht.
Wir schließen die Räder an und werden von ein paar Eseln dabei beobachtet.
Dann stratzen wir voller Energie und supergut gelaunt los. Was für ein Geschenk es ist, dass wir uns an diesem schönen Ort heute bewegen dürfen und dass wir frei haben, gesund sind und dank unseres Wohnmobils hier heute morgen in der Nähe wach werden konnten.
Das ist in Wirklichkeit so irre! Ich bin so happy gerade.
Der Congost de Mont-rebei ist ein Einschnitt in die Bergkette Montsec, die der Fluss Noguera Ribagorçana in Millionen Jahren hinterlassen hat.
Es dauert ein bisschen, bis wir am Rand der Schlucht angekommen sind.
Das Flussbett führt jetzt im Oktober nach dem heißen Sommer sehr wenig Wasser mit sich. Im Frühjahr sieht es hier noch viel viel türkisfarbener aus.
Jetzt schlängelt sich ein schmales hellblaues Band durch ein ausgetrocknetes Flussbett. Wir sind auf jeden Fall fasziniert von dem riesigen Einschnitt mit wahnsinnig hohen Wänden an beiden Seiten.
Nach zwanzig Minuten kommt die erste Hängebrücke, die uns über die Fondo-Schlucht bringt. Der Fluss Fondo fließt hier in den Fluss Noguera Ribagorçana.
Wir bleiben auf dieser Seite der Schlucht und wandern weiter auf einem in den Felsen geschlagenen recht schmalen Pfad.
Manchmal müssen wir uns an einem Seil festhalten und Tatti muss Hannes streckenweise im Rucksack tragen, weil der Weg sehr schmal und uneben ist und die Schlucht steil neben uns abfällt.
Es ist nicht gefährlich, wenn man geradeaus gehen kann. Aber Höhenangst dürfte man hier nicht haben.
Immer wieder halten wir an und genießen spektakuläre Ausblicke oder setzen uns auf eine der vielen Bänke am Abgrund und ich lasse die Füße baumeln.
Es ist Landschaftlich einmalig schön und der Weg geht immer höher und irgendwann wieder hinunter zu einer zweiten Hängebrücke. Dort überqueren wir die Schlucht und vermuten unser Tagesziel, eine spektakulär an den Fels gebaute Treppe, hier irgendwo.
Wir sind jetzt zwei Stunden unterwegs und es kommt mir vor wie zehn Minuten, weil die Schönheit der Umgebung mich dermaßen berauscht hat.
Wir sehen, dass wir zunächst einen steilen Weg hochsteigen müssten und der Weg ist nicht mehr gut befestigt.
Einige in den Hang gebaute Stufen zerbröckeln und wir müssten über Geröll steigen. Auch stehen hier Warnschilder. Hm, was machen wir denn jetzt? Wir wollen diese besondere Treppe so gerne erreichen!
Wir gehen ein kleines Stück hoch und beschließen bei einem kleinen Picknick, dass wir trotz des rutschigen Gerölls weiter gehen wollen. Denn wir vermuten, dass es nur ein kurzes Stück ist und der Weg erscheint uns ausreichend sicher.
Der Weg wird recht schnell wieder wesentlich fester und sicherer, aber wir müssen noch sehr weit hoch steigen. Wir schniefen, schwitzen und müssen immer wieder stehenbleiben und verschnaufen. Mein Gott, ist das anstrengend!
Schließlich entdecken wir die Treppe. Sie ist aber leider wegen Reparaturarbeiten derzeit gesperrt. Das ist ein bisschen schade, aber sie sieht wirklich sehr baufällig aus. Lieber bleiben wir auf unseren sicheren Felsen hier und machen Fotos aus einiger Entfernung.
Ich bin auf jeden Fall extrem stolz, dass ich nicht aufgegeben habe und jetzt hier oben stehe!
Der Rückweg wird ganz schön beschwerlich und unsere Füße brennen auf dem letzten Drittel des Rückweges sehr. Inzwischen ist es auch voller geworden.
Die Menschen stellen sich für Fotos teilweise so dicht an den Abgrund, dass ich gar nicht hinsehen mag!
Ich war lange nicht mehr so froh, mein Fahrrad wiederzusehen!
Wir ruhen uns erstmal auf eine Mauer bei den Rädern aus. Puh. Einatmen. Ausatmen. Das war ein tolles Abenteuer! Es waren zwar nur knapp zwölf Kilometer, aber die hatten es durch ständige am Ende auch steile An- und Abstiege echt in sich.
Ich fühle mich wie ein Sportmonster!
Wir radeln zum Wohnmobil und fahren zurück zum Stellplatz der letzten Nacht.
Jetzt bloß nicht mehr bewegen! Wir kochen etwas Schnelles und verbringen einen gemütlichen Abend im Wohnmobil und beschließen wiederzukommen, wenn die Felsentreppe wieder freigegeben ist.