Tag 2 Pellworm

 

Wir radeln gleich nach dem Aufstehen zum Fährhafen Strucklahnungshörn. Die Fähre von Pellworm legt gerade an und auf dem Vorplatz wimmelt es von Menschen. Ich muss mich vorher noch testen lassen, da schon wieder 2 Tage vergangen sind. Vor dem Testcontainer sehe ich eine lange Schlange und vorm Ticketschalter auch. Und Tickets müssen wir auch noch holen. Ich werde hektisch und Tatti hat die Ruhe weg. Wie immer.

 

Im Testcontainer hat der nette Mann Lust auf einen Schnack und hat auch die Ruhe weg, "Moin", sagt er langgezogen. Ich halte ihm meinen Perso hin und antworte "Moin". "Das erste Mal nach Pellworm?", fragt er und beginnt gemächlich meine Daten einzutragen. Wir reden, er testet, ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her, bekomme meinen Perso irgendwann zurück und stecke ihn in die Innentasche meiner Jacke zu meinem Handy. Dann muss ich draußen auf das Ergebnis warten. Wieder eine Weile später flitze ich mit der begehrten Bescheinigung über den Platz zur Schlange beim Ticketschalter. 

 

 

Wir schieben die Räder auf die Fähre und schließen sie mit dem Kettenschloss aneinander ohne nachzudenken. Und merken dann aber doch, wie unnötig das ist. Als wenn Jemand auf einer Fähre ein Fahrrad klaut. Aber egal.

 

Und die Fähre startet auch schon. Für fünfunddreißig Euro nimmt sie uns, die Räder und den Hannes mit. Mit Wohnmobil hätte es knapp zweihundert Euro gekostet. Ganz schön teuer.

 

 

Wir laufen mit unseren Masken wie Aliens über das Deck und ich verschwinde erstmal unter Deck und tauche mit einem Kaffeebecher wieder auf, trinke, grinse und denke, Insel, wir kommen.

 

 

Nach fünfunddreißig Minuten legen wir auf Pellworm an. Der Fährhafen befindet sich ein ganzes Stück vor Pellworm, am Ende eines längeren Damms. 

 

 

Als wir unsere Räder auf Pellwormer Boden schieben, fühle ich mich trotz Wind und Wolken ziemlich gut. Ich mag Inseln total gerne. Aber ohne Auto anzukommen und mit dem Rad überall hinfahren zu können, fühlt sich noch viel freier an. Und ich weiß es sehr zu schätzen, dass wir überhaupt reisen und hier sein können. Ist ja seit zwei Jahren auch nicht mehr selbstverständlich. 

 

Auf dem Damm vom Fähranleger stoppen wir erstmal auf einer kleinen Anhöhe und lassen den Blick zur Insel auf uns wirken und radeln dann los, überholen mit dem Rad die Fußgänger von der Fähre und biegen auf Pellworm rechts ab. 

 

 

Inselumrundung auf Pellworm 

 

Im kleinen alten Hafen halten wir an und schauen uns um. Hier liegen ein paar Fischkutter und vor einem Imbiss, dem Hafenbüdchen, sitzen Leute an rustikalen Holztischen und Bänken und essen Krabben- und Matjes-Brötchen und trinken Bier dazu.

 

Wir radeln zu einem Geldautomaten und holen Geld und dann machen wir uns auf den Weg zur Inselumrundung gegen den Uhrzeigersinn.

 

Pellworm ist die Insel der absoluten Ruhe. 

 

 

Wir sind schnell aus dem Hauptort heraus und finden uns in der Einsamkeit wieder. Rechts ist der Deich, links Wiesen und ab und zu ein Haus. Ich halte immer wieder an und mache Fotos mit meinem Handy.

 

Wer beim Testen besser aufgepasst hat als ich, dem würde spätestens jetzt wieder einfallen, dass mein Perso noch in der gleichen Jackentasche wie das Handy steckt. Dazu später mehr. 

 

 

Pellworm ist eine grüne Insel im Watt mit einem Hauptort und ansonsten verteilten Häusern auf Warften und mit einem Wohnmobilstellplatz inmitten der Wiesen.  

 

 

Wer Ruhe und Vögel sucht und viele Romane lesen möchte, ist hier auf jeden Fall absolut richtig. 

 

 

Während wir die Insel umrunden, betrachte ich alles und stelle fest, dass ich auf Pellworm genau fünf Sachen machen könnte. Radeln. Lesen (im Strandkorb an einem der Grünstrände). Schwimmen (nur bei Hochwasser). Wattwanderung (nur bei Niedrigwasser). Kuchen essen. Das klingt auch verlockend, wäre mir aber keine zweihundert Euro wert.

 

Strandsand gibt es hier auf der Watteninsel übrigens nicht, nur grüne Strände, also Grasflächen, auf denen Standkörbe stehen.  

 

 

Beim Radeln sehen wir kaum andere Radler. Der Hundestrand ist eine eingezäunte Wiese. Hannes darf rennen und findet gleich die einzige Schwachstelle im Zaun. Also muss er wieder an die Leine. Tatti hat scheinbar keine Lust, im Watt hinter ihm herzurennen. 

 

 

Dafür will ich unbedingt barfuß ins Watt und versinke im schwarzen Schlamm. Das hatte ich mir anders vorgestellt. So wie im letzten Jahr auf Föhr. Viel fester.

 

Ich dachte, dass Watt überall gleich ist. Ich stinke jetzt nach Fisch und Modder und bekomme das Zeug kaum wieder ab von den Füßen.

 

 

Beim Hooger Fährhaus filmt Jemand mit einer Drohne und erzählt mir, dass er das wiederaufgebaute Hooger Fährhaus filmt. Das vorherige Gasthaus ist drei Tage nach Heilgabend 2019 komplett niedergebrannt. So hat jede Insel auch ihre Geschichte und ihre Schicksale.

 

Jetzt sieht es auf jeden Fall sehr hübsch aus und man kann dort wunderbar Urlaub machen und frischen Fisch essen. Auch irgendwie gemein, dass die Wiederöffnung mitten in die Corona-Pandemie fällt. 

 

 

Wir radeln uns in einem großen Bogen immer am Rand der runden Watteninsel entlang den Kopf frei und unsere Gesichtszüge werden langsam etwas entspannter. 

 

 

Wir steuern das Warft Café Pellworm an und stehen vor verschlossenen Türen. Also setzen wir unsere Deichrunde einmal rund um die Insel fort und freuen uns über leere Radwege und die Weitsicht über die Wiesen.

 

 

 Nach einer Weile sehen wir einen schönen rot weißen Leuchtturm und eine Kirche mit einem merkwürdigen Turm. Nach achtundzwanzig Kilometern sind wir einmal rum um Pellworm. 

 

 

Wir lassen die Räder stehen und ich stöbere in den wenigen Geschäften herum, nämlich einem Geschenkeladen, einer Boutique und dem Supermarkt. Und wir essen Kuchen, aber nur um Zeit totzuschlagen, denn wir sind fertig mit unserer Inselrunde und die Fähre kommt erst in knapp drei Stunden. 

 

 

Wir melden uns vorschriftsmäßig mit unserer Corona App als Cafėbesucher an. Wir fühlen uns ein wenig unbehaglich, weil wir uns sofort in Quarantäne begeben müssten, wenn einer der Anwesenden in den nächsten Tagen positiv getestet wird. Deswegen wollten wir eigentlich die sogenannte "Innengastronomie" meiden. Nun sitzen wir aber auf der Terrasse und müssen uns einloggen. 

 

Ich schreibe meine Pellworm-Ansichtskarten und freue mich schon darauf, sie nachher in den gelben Briefkasten auf der Fähre zu werfen.

 

 

Danach haben wir noch immer  zwei Stunden Zeit. Wir radeln schonmal langsam zum Fähranleger. Was anderes fällt uns nicht ein. Wir wollen auf einer Bank eine Zeitung, die ich noch schnell aus dem Supermarkt hole, lesen. Aber daraus wird nichts. Aus der Bank schon, aber nicht aus dem Lesen.

 

Ich komme nämlich ins Gespräch mit einem netten älteren Herrn aus Lübeck, vor dessen Füßen ein Klapprad liegt. Wir plauschen über die Vorteile von Klapprädern und dann erzählt er, dass er immer mit seiner Frau unterwegs gewesen sei und dass das Reisen ihm seit ihrem Tod eigentlich nichts mehr bedeutet habe. Er wirkt ein wenig aufgewühlt und scheint seine Eindrücke und Gedanken loswerden zu müssen. Nun sei er heute aber dennoch zum ersten Mal wieder unterwegs gewesen, das allererste Mal alleine. Und er habe eine Wattwanderung mitgemacht.

 

Ich schaue ihn an und nicke.

 

Er habe es nicht für möglich gehalten, sagt er, dass es auch irgendwie wieder ein bisschen schön sein könne. Ich lächle ihn an. Es sei anders, sagt er, aber man könne es machen. Und Watt sei Watt. Ich finde das anrührend und sage ein paar besonders zugewandte Sätze. Dann erzählt er noch viel mehr Dinge aus seinem Leben und schwups ist die Fähre schon da. Und meine Zeitung bleibt ungelesen im Rucksack. 

 

 

Auf der Fähre stecke ich meine Karten in den Fährbriefkasten und lege mich dann auf eine Bank auf Deck und denke nochmal an den traurigen Wattwanderer und daran, wie fragil Glück ist. Und dass Watt Watt bleibt, egal, was ist.