Morgens beobachte ich nochmal lange die Störche in der Morgensonne und dann schleiche ich mich durch ein gusseisernes Tor auf den Kirchhof. Das Tor quietscht, war ja klar. Ich kann es einfach nicht lassen, Gräber zu inspizieren. Ich mag es irgendwie.
Die Stille am Morgen mag ich überall sehr, egal, wo wir sind. Und auch hier ist alles so, wie es ist, perfekt. Der ideale Moment. Das werde ich bei dieser Reise noch häufiger denken. Vielleicht ja, weil ich so viel Glück habe und gesund sein darf und hier sein darf und weil es auch anders hätte kommen können.
Frühstück am See Ricobayo de Alba
Heute starten wir ein bisschen aufgeregt zur letzten Anreiseetappe, weil es nur noch ein kleines Stück bis zur portugiesischen Grenze ist. Kurz vor der Grenze meldet sich mein Magen.
„Wollen wir nicht bald mal was essen, Tatti?“ Dummerweise hat Tatti so gut wie nie Hunger. Und morgens schonmal gar nicht. Aber sie weiß inzwischen, dass sie am Besten gleich zustimmt, wenn die Sache für uns beide gut enden soll. Wir folgen einem Park4night-Tipp, müssen dafür nur einmal abbiegen und vor uns liegt ein einsamer See, der türkis daliegende Ricobayo de Alba.
Beim Aussteigen kommt uns warme Luft entegegen. Wir tragen Brot, Teller, Aufschnitt und alles, was wir zum Frühstücken brauchen zu einem Felsen und essen mit Ausblick.
Ich sitze auf einem Felsen und atme tief ein und aus und schaue um mich. Mir wird gerade bewusst, dass die lange Anreise nun geschafft ist. Der Platz hier am See ist schon superschön und wir sind noch nichtmal ganz da in Portugal. Und das Wetter ist auch richtig schön.
Nach dem Frühstück gehen wir mit Hannes, unserem kleinen Parson Russel Terrier, um den See. Hier ist es ganz schön staubig überall. Hannes hechelt. Ihm ist genauso warm wie uns. Beim Wohnmobil trinken wir drei was und steigen wieder ein.
Nach einer Dreiviertelstunde entdecken wir blaue Portugal-Länderschild mit den gelben Sternen. Tolles Gefühl, mit dem eigenen Wohnmobil ganz bis Portugal gefahren zu sein! Das ist unser bisher weitester Trip. Ich freue mich gerade sehr!
Zuerst wollen wir im Norden Portugals bis an die Küste fahren, dann an der Küste hinunter über Porto und an der Alentejo-Küste entlang hinunter zur Algarve, wo wir von West nach Ost, also zur spanischen Grenze, fahren wollen und ein Stück an der Grenze entlang gen Norden und zum Schluss durch das Landesinnere Portugals.
Bragança
Unsere erster portugiesischer Halt ist die mittelalterliche Stadt Bragança. Die Stadt ist von einer mittelalterlichen Stadtmauer umgeben. Mitten in der Stadt an der höchsten Stelle ist eine Burg und drumherum stehen helle Wohnhäuser.
Wir gehen von der Burg auf einer Kuppe über eine lange Straße von der Oberstadt hinunter in die Unterstadt.
Mein Gedanken sind noch in Deutschland bei der Arbeit und auf der Autobahn hierher. Ich bin noch angespannt von der Reise und es ist heiß und staubig in den Gassen.
Ich bin neugierig auf diese erste Stadt, bin aber mit meinem Kopf noch gar nicht richtig angekommen. Ich freue mich aber trotzdem über leuchtend blühende Blumen vor den Häusern und meine ersten Azulejos in diesem Urlaub.
Das sind landestypische Bilder aus blauen Wandfliesen. Ich entdecke sie außen an einer Kirche, der Igeria de Säo Vicente.
Als wir uns die lange Straße wieder hochquälen, ist mir furchtbar heiß und irgendwie kann ich Portugal deswegen gerade noch nicht so richtig genießen.
Camping Capo Verde Gondesende
Dann fahren wir durch den Montesinho Nationalpark. Die Straße schlängelt sich in leichten Schwüngen mal ein wenig bergauf, dann wieder bergab und durch ein Flusstal. Hier im Nordwesten Portugals dominiert das Grün und wir steuern einen Campingplatz an, um den Nationalpark von dort aus vielleicht mit den Rädern zu erkunden. Auf dem Campingplatz laufen wir suchend herum. Er ist nett terrassenförmig und man schaut auch hier wieder ins Grüne. Zugegebenermaßen gehört dichte Vegetation nicht gerade zu meinen Lieblingsaufenthaltsorten.
Vor den Campingbussen sitzen Leute, wahrscheinlich Naturliebhaber, Ruhesuchende und Wanderer. Sie lächeln freundlich und wirken ungezwungen und entspannt. Der Platz liegt am Eingang zum Naturschutzpark mit zahlreichen Wanderwegen durch den Nationalpark, an denen sich auch einige alte Bergdörfer befinden. Ich kann mich jedoch zu keinem der wenigen noch freien Plätze durchringen, warum, weiß ich auch nicht, vielleicht wegen der Bäume, oder weil ich noch so rast- und ruhelos bin von den Strapazen der vergangenen Monate. Tatti geht es auch so. Also steigen wir wieder ein und fahren weiter, was dumm ist. Ein bisschen Ruhe hätte uns sicherlich auch jetzt schon gut getan. Wir aber glauben, die grünen Berge und Täler Richtung Westen noch weiter erkunden zu müssen.
Badestelle Praia Fluvial de Fresulve
Als Nächstes schauen wir uns einen Übernachtungsplatz an einer Badestelle, der Praia Fluvial de Fresulve am Rio Tuela an. Der Platz ist mitten in der Natur und gar nicht so leicht zu finden, denn hier oben in den Bergen haben wir oftmals keinen Empfang. Wir müssen kleine Sandwege fahren und häufig abbiegen. Wir wissen nicht, ob der Weg auch hinter der nächsten Kuppe oder Kurve noch breit genug ist und falls nicht, ob wir dort wenden könnten oder rückwärts fahren müssen.
Dann tauchen endlich der Fluss und die Badestelle auf. Wir parken auf einer Wiese in der prallen Sonne und gehen zum Flussufer. Der Fluss plätschert fröhlich im Schatten einiger Bäume über Felssteine. Es ist angenehm frisch im Schatten der Bäume. Ich schaue auf ein paar glitzernde Sonnenflecken im Wasser. Was für eine Idylle! Am Ufer steht ein kleine Steinhütte. Dort treffe ich drei junge Leute an, die mit Aufräumen beschäftigt sind. Ansonsten ist hier draußen Niemand, nur unendliche Natur. Ich frage vorsichtshalber, ob wir hier mit dem Wohnmobil übernachten können, sieht irgendwie privat aus. Ja, können wir. "Aber wundert euch nicht", sagt eine junge Frau auf Englisch, "heute Abend ist hier eine Party, also viele Autos und viel Lärm." Hm. Mist. Ich gehe zu Tatti und wir tauschen uns kurz aus, und entschließen uns dann, doch noch mal weiterzufahren. Echt schade, so ein schönes Fleckchen Erde.
Wohnmobilstellplatz O Tempo Parou
Meine nächste Idee ist der Stellplatz O Tempo Parou. Auf einer schmalen Straße nach Vilartāo-Valpacos, an dessen Ortsrand der Stellplatz liegt, kommt uns ein kleines Auto entgegen, stoppt und ein dunkelhaariger, braungebrannter zierlicher Mann springt heraus, fuchtelt mit den Armen und hält uns auf. Er kommt zur Fahrertür und sagt aufgeregt, dass der Stellplatz ihm gehört und er noch schnell etwas besorgen muss, aber gleich wieder zurück kommt und für uns da ist. Und dass seine Frau zwar da ist, aber kein Englisch kann, sondern nur Französisch. Herrlich, seine Hingabe für seinen Platz, hier oben im aufwirbelnden Staub der Straße.
Als wir auf den hoch gelegenen und sehr ordentlichen Kiesplatz neben seinem Haus rollen, kommt seine Frau zu uns, heißt uns willkommen, zeigt uns mit Händen und Füßen und französisch-englischen Worten die supersauberen Sanitärräume und eine tolle Panorama-Terrasse, wo sie uns auf gleich im Schatten einen Begrüßungskaffee serviert. Ein schönes Gefühl, so empfangen zu werden. Wir haben freie Platzwahl. Vorsaison ist cool.
Wir fahren die Markise raus und holen die Stühle raus und sitzen nur da und schauen in die Landschaft. Ich atme durch und es ist schön, endlich angekommen zu sein.
Manchmal kommt ein Karren mit einem Esel davor vorbei. Und später kommt Xavier und fragt, ob er für uns mitkochen soll. "Ich habe gerade genug Fleisch gekauft", sagt er und erklärt uns ein portugiesisches Fleischgericht. "Oh, ja, gerne!" Wir könnten es bei ihm unter der Veranda oder vorm Wohnmobil essen und entscheiden uns fürs Wohnmobil.
Um sieben serviert er uns dann sein Fleischgericht und ein selbstgebackenes Steinofenbrot, was beides sehr lecker ist und kaum was kostet. Sind wir wirklich heute morgen noch bei den Störchen und der Kirche in Spanien wach geworden?