Tag 12 Annecy

 

 

Nach dem Aufstehen füllt Tatti an der Servivestation Frischwasser auf. 

 

Und ich gehe zum Bäcker, genieße dabei die Stille und das langsame Erwachen des Ortes. 

 

Die wenigen Menschen, die ich zu Gesicht bekomme, sind noch müde und gähnen. Das ist also das Schlafgesicht von Castellane. 

 

Beim Bäcker ist alles dunkel. Hat der doch glatt zu! Auf einem Freitag?!

 

Ich google, aber nichts ist geöffnet. Kein Bäcker. Kein kleiner Laden.

 

Heute ist vielleicht der letzte warme Tag für uns in diesem Jahr. In drei Tagen sind wir wieder im November und in Norddeutschland. Im Schmuddelwetter also. Und deswegen brauche ich Brot für ein letztes Sommerpicknick. 

 

 

Es muss doch irgendwo Baguette geben!

 

So schnell gebe ich nicht auf. Ich mache einen flotten Marsch quer durch den verlassenen Ort. Mir wird warm vom schnellen Gehen. Die Notre-Dame-du-Roc schläft da oben noch im Nebel.

 

Dann entdecke ich einen kleinen Laden in einem alten Eckhaus an einer Kreuzung. Ich sehe zuerst die beschlagenen Scheiben und dann Menschen an Tischen. Ich gehe näher. Sie trinken Kaffee und haben Teller vor sich. La Maison Bio steht über der Tür. 

 

Und an der Tür steht Pain (Brot). Bingo! 

 

Ich trete ein und es riecht nach frischen Backwaren.

 

Es ist ein niedlich hergerichteter Bioladen mit regionalen Lebensmitteln. 

 

Ich kaufe bei einem freundlichen Paar einen Arm voller Dinge.

 

Mit Baguette, Croissants und selbstgebackenen Stücke, die ich nicht kenne, steige ich bei Tatti ins Auto. 

 

Hinter dem Ortsschild fahren wir raus aus dem Nebel so wie gestern Morgen an der Verdonschlucht. War das wirklich erst gestern?

 

Ich drehe mich nochmal um. Weit hinter uns ragt die Kapelle aus dem Nebelmeer heraus. Das ist so cool, dass sie sich nochmal zeigt! 

 

Au revoir belle Provence et merci! 

 

Roadtrip Provence im Herbst

 

Bis nach Annecy sind es nur 333 Kilometer. 

 

Wir sind gerade auf der Route Napoléon - der N85 - Richtung Grenoble. 

 

Die Nationalstraße 85 war die Marschroute Napoleons als er in Frankreich die Macht zurückerobern wollte.

 

Er soll mit seinen Truppen nur 7 Tage vom Meer bis nach Grenoble gebraucht haben. 

 

In Castellane - im jetzigen Museum für Volkskunst und Volkstraditionen - soll er zu Mittag gegessen haben.

 

Nach einer guten Stunde meldet sich mein Frühstückshunger.

 

Ich entscheide mich für einen Picknickplatz an einem Stausee aus der Park4Night-App. 

 

Hinter einer Unterführung liegt er auch schon, der Plan d´Eau du Riou.

 

Der Platz ist ein kleiner Glückstreffer. Türkisblaue Herbstidylle erwartet uns. 

 

 

In einer Abwaschschüssel tragen wir unser Frühstück zum Steg und frühstücken mit See- und Bergblick.

 

Ich lege mich mit meinem Croissant auf den Rücken und schaue mit halb zugekniffenen Augen in die Sonne.

 

 

Irgendwann taucht Tattis Schatten vor der Sonne auf und ich höre sie sagen Komm, lass uns weiter. Hm. Schade. 

 

 

Südlich von Annecy um Saint-Maurice-en-Trièves herum ist die Landschaft auch wieder wunderschön! Und wir waren auf langweilige Autobahnkilometer eingestellt. 

 

 

Frankreich hat viele schöne und auch ganz unterschiedliche Ecken. Frankreich ist so viel mehr als nur Provence, Côte d´Azur und Elsass.

 

Tanken und fahren stehen heute im Mittelpunkt. 

 

 

Wir bauen viele Stopps ein und genießen den Blick. 

 

Bei geöffneter Schiebetür könnte man meinen, wir stehen vor einer Wand mit einem Werbeplakat.

 

 

Das müsste das Bergpanorama des Écrins-Massivs sein.

 

Die Berglandschaften des Südostens Frankreichs können mich echt in ihren Bann ziehen. Das war früher schon so.

 

Mit Anfang zwanzig habe ich mehrere Sommer hintereinander in den Bergen am Lac de Serre-Ponçon wild gecampt. 

 

 

Ich hatte vergessen, wie überwältigend es hier ist.

 

Könnte der kleine Zipfel dahinten der Barre des Écrins - Frankreichs dominantester Viertausender - sein? Ich hätte richtig Lust, hinzufahren und nachzusehen.  

 

Mir wird plötzlich bewusst, dass der Urlaub vorbei ist. Und mit ihm ein weiterer Sommer.

 

Gleich heule ich. 

 

 

Erstmal ist aber Annecy noch dran! Darauf freue ich mich auch total!

 

Das wird bestimmt wieder so ein Highlight. 

 

Der Stellplatz in Annecy ist brechend voll. Zu voll schon. Wohnmobile und PKWs stehen auch auf dem Parkplatz daneben kreuz und quer. So ein Mist!

 

Es gibt keine Alternative.

 

Wir verhandeln mit einem deutschen Camper, dass wir uns vor ihn stellen und morgen ganz früh wieder weg sind. Er muckelt erst rum, sagt dann aber doch ja. Als wir einparken wollen, merken Tatti und ich, dass wir doch wieder weg wollen. 

 

Zurück auf der Uferstraße recherchiere ich in Lichtgeschwindigkeit und entdecke eine Parkmöglichkeit für Wohnmobile bei einer Kirche. So können wir wenigstens kurz parken und in die Stadt gehen.  

  

 

Es ist die Basilika de la Visitation.

 

Auf ihrem fast leeren Vorplatz steht ein Hymer-Wohnmobil mit deutschem Kennzeichen und man kann von hier auf die Stadt runterschauen.

 

Wir erfahren, dass sogar eine Übernachtung dort geduldet wird, dass die Leute aus der Nähe von Worms kommen und dass man in 10 Minuten über eine lange Treppe nach unten in die Stadt kommt. 

 

Nach einem Kaffee und einem Snack stiefeln wir los nach Annecy und ich bin total gespannt.

 

 

In den Läden der Fußgängerzone dreht sich alles um Wintersport. Annecy verbreitet einen Hauch Nostalgie und wirkt verspielt. 

 

Plötzlich höre ich Musik. Das muss ein Handy sein. Ich wundere mich, weshalb die das die ganze Zeit laufen lassen und nicht ausstellen.

 

Es ist Son of a Preacher Man. 

 

Ich schaue um mich herum, und überlege, woher die Musik kommt und was für ein Problem Jemand haben muss, der in einer vollen Fußgängerzone dieses Lied so laut abspielt. 

 

Dann stupst Tatti mich an und fragt, ob ich das nicht mal ausmachen will.

 

Oh Shit! Ich hatte keine Ahnung. Hastig krame ich nach meinem Handy. Keine Ahnung, wie das jetzt wieder passieren konnte.

 

 

Wir schlendern zu einer Brücke am Fluss Thier. 

 

An den Geländern hängen überbordende Blumenkästen.

 

Schaut man den Fluss hinunter sieht man mehrere Brücken hintereinander, an den Ufern alte Häuser in schönen Farben und im Hintergrund die Berge. Annecy ist ein Postkartenmotiv.

 

Dann gehen wir am Fluss entlang Richtung See.

 

Über den Restaurtanttischen sehe ich Mückenschwärme und die Leute scheint das nicht zu stören! Ihgitt!

 

 

Ich fotografiere alles Mögliche und es macht richtig viel Spaß.

 

Jetzt noch ein Foto vom Palais des Isle. Es ist ein dreieckiges Gebäude im Fluss und eines der beliebtesten Fotomotive Annecys.

 

 

Dann beobachten wir das Treiben zwischen See und Altstadt und gucken eine Weile von der Brücke auf das rauschende Wasser, das unter der Brücke sprudelt.

 

Schließlich gehen wir durch den Jardin de l´Europe.

 

Es ist ein kleiner Park am See mit einer Brücke für Verliebte, der Pont des Amours.

 

Küsst man sich auf der Pont des Amours, bleibt man für ewig vereint, heißt es. 

 

Das erzähle ich Tatti als wir auf der Brücke stehen und warte. Und nichts passiert. 

 

Achtung Spoiler! Erst bei unserem nächsten Provence-Roadtrip werden wir uns auf der Brücke küssen und im Winter danach heiraten. 

 

 

Der See liegt türkis da und dahinter die Berge. Ein wunderschöner Anblick ist das.

 

Annecy ist echt gesegnet mit einer Premium Lage. 

 

Die Treppe zurück zur Basilika ist ganz schön lang. Bergauf ist das echt anstrengend. 

 

Oben angekommen schaue ich mir die Basilika genauer an. Sie steht stolz, schlank, schlicht und mit einem sehr hohen Turm auf dem Berg. Sie ist Teil eines Klosters, das sich an ihrer Rückseite zum See hin befindet. 

 

Im Innenraum der Kirche sind Marmorsäulen und viel Glitzer und Verzierungen.

 

Ich höre Gesang und gehe in die Richtung, aus der er kommt. In einem Nebenraum beim Altar findet eine religiöse Zeremonie statt. Ich kann durch eine Glaswand zusehen und den Liedern der Ordensschwestern lauschen.

 

Abends bestellen wir bei Ben´s Food Essen. Bei Lieferando sind zuerst deren Taco-Menüs aufgeploppt. Die müssen also gut sein und wir bestellen sie. 

 

Auf dem Bett liegend überblicke ich die Auffahrt und warte als Spähposten auf unser Essen.  

 

Es wird mit einem  knatternden Moped hochgebracht. 

 

Tacos sind in Frankreich gefaltete Päckchen aus dünnem Teig. Unsere sind mit Hähnchenfleisch und La Gruyère Käsesauce und noch mehr Dingen gefüllt und sind wirklich lecker.

 

Während wir essen, dämmert es und die Basilika erstrahlt plötzlich vor unseren Fenstern in hellem Licht. Perfektes Ambiente für unser Dinner! 

 

Roadtrip Provence im Herbst

 

Unser Fernsehabend wird untermalt vom stündlichem Glockenspiel, das aber um zehn das letzte Mal zu hören ist. Die ncht ist also ruhig. Es ist irgendwie magisch hier oben. 

 

Bei unserem nächsten Besuch zwei Jahre später wird es viel zu voll und verboten sein, hier zu übernachten.