Nach unserer Malsession gestern Nachmittag geht es heute nach dem ersten Becher Kaffee zum Wachwerden gleich weiter mit dem Rausch der Farben. Wir fahren zu den fünf Kilometer entfernten Ockerfelsen nach Roussillon.
Die leicht kurvige Strecke ist auch wieder sehr schön und schlängelt sich von Hügel zu Hügel. Nach zehn Minuten sind wir da.
Parken können wir schonmal unproblematisch auf dem großen Besucherparkplatz Saint Joseph. Er ist nicht weit entfernt vom Zentrum. Der Platz ist großzügig, sauber und hat Schatten. Es gibt einen extra Bereich für Wohnmobile. Tagsüber kostet er vier Euro. Die Nacht würde sieben Euro kosten.
Roussillon
Zuerst gehen wir zu den Sentiers des Ocres, den Ockerpfaden. Es ist ein Rundweg durch einen ehemaligen Steinbruch mit flammend roten Felsen und Böden, in dem schon die Römer Ockererde abbauten. Vom Parkplatz sind es 850 Meter zu den Ockerfelsen. Und gleich dahinter ist auch schon das Zentrum des Ortes Roussillon.
Kurz vorm Ziel befindet sich an einer engen Straßenstelle der Bäcker Au temps passé, wo Bäckervater und Bäckersohn Gebäckstücke und Brot nach alten Rezepten backen. Der kleine Laden ist vollgestopft mit Bergen unterschiedlich leckerer Brote, Brötchen, Sandwiches und Kuchenstücke und ich kann mich kaum entscheiden.
Ich nehme ein mit Käse überbackenes rundes Sandwich und Susi kauft Croissants mit Pistaziencreme für Tatti und sich. Kaum wieder draußen, gehen die Tüten auch schon wieder auf. Reisen macht hungrig. Und wir haben ja auch noch nicht gefrühstückt.
Susi und Tatti lehnen sich essend gegen eine Brüstungsmauer und ich setze mich auf eine niedrige Mauer an der Straße. Kauend beobachte ich die vorbei ziehenden Menschen.
Es sind viele Besucher hier, was aber nicht stört, sondern einfach dazu gehört. Die Pistaziencroissants sind so lecker, dass sie in diesem Moment die Latte für alle Pistaziencroissants der Welt unerreichbar hoch legen.
Nach unserem schnellen Snack biegen wir rechts ab zu den Sentiers des Ocres, den Ockerpfaden. Links von uns sehen wir die rosafarbenen Häuser des Ortes schon auf einem Hügel liegen. Da geht es danach hin.
Vorm Ticketschalter bieten zwei kleine Lädchen Souvenirs an und gegenüber auf einer kleinen Aussichtsterrasse steht eine Sonnenuhr, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Die Sonnenuhr hat zwei große Flügel, ein Gitter aus dicken und dünnen vertikalen und horizontalen Linien und einen Faden mit einer Kugel daran. Es sieht kompliziert aus, kann aber ja nicht so schwer sein, denke ich, ist ja nur eine Sonnenuhr.
Ich lese die Erläuterungen auf Englisch, verstehe die einzelnen Wörter auch, aber schnalle trotzdem nicht, wie sie funktioniert. Schade, und ich dachte, ich wäre mindestens normal intelligent. Hm. Ich lese nochmal. Geduld gehört bei so etwas auch nicht gerade zu meinen Stärken. Und schon gar nicht, wenn rote Felsen und rosa Häuser warten.
- W0llen wir weiter? frage ich nach einer halben Minute.
Die Tickets sind günstig und dann tauchen wir hinein in die curry- und orangefarbene Felsenwelt mit rotem Staub und Holzstegen und Holztreppen. Man kann sich zwischen einer 35- oder 50-Minuten-Runde entscheiden.
Wow, wie das in der Sonne leuchtet! Früher wurden aus den Farbpigmenten rote, orangefarbene, gelbe und rotbraune Farbtöne hergestellt. Die damalige Fabrik kann noch besucht werden, liegt aber etwas weiter außerhalb.
Als Farben irgendwann künstlich hergestellt werden konnten, verfiel Roussillon in Dornröschenschlaf. Inzwischen ist es touristisch sehr beliebt.
Laut Legende soll das Blut von Lady Sermonde, die im Schloss in Roussillon gelebt habe, einmal die Felsen rot gefärbt haben, als sie sich aus Verzweiflung über die Ermordung ihres Geliebten, des Pagen, zu Tode gestürzt habe.
Ihr Ehemann, Lord Raymond d´Avignon soll ihr vor ihrem Tode auch noch das Herz des Pagen zum Verspeisen in einer würzigen Soße vorgesetzt haben. Bäh, eklig!
Im Wald ist eine hölzerne Terrasse, die aussieht wie eine Bühne mit gemaltem Felsenbühnenbild im Hintegrund. Es ist echt ein interressaner Ort mit den roten Felsen. Die Szene hätte Ridley Scott auch nicht besser hinbekommen.
Wir verzichten auf den 15-minütigen Extraschlenker im Wald und sind nach 30 Minuten fertig.
Beim Ausgang stöbern wir im kleinen Lädchen herum. All die Farben, Pinsel und Farbmuster machen Lust aufs Malen! Ich kaufe eine gemalte Karte von Rossillon und ein Magnet und Susi kauft sich im nächsten Lädchen zwei Bulli-Geschirrtücher.
Dann gehen wir in den Ort hinein. Er wurde nach dem zweiten Weltkrieg eine Quelle der Inspiration für Künstler und Schriftsteller. Wir sehen zahlreiche Kunsthandwerk-Läden und kleinere Kunstgallerien. Es ist ein farbenfroher, lebhafter Ort.
Die Farben der Fassaden in pastellenen Rosa-, R0t-, Gelb und Orangetönen sind unschlagbar! Der Ort ist durch die zarten und natürlichen Farben für mich zum Dahinschmelzen schön!
In den Straßen ist es zwar recht voll, aber in den Straßencafés sind viele freie Tische und es herrscht keinerlei hektische Stimmung, sondern eine nette ruhige Atmosphäre.
Und der Spirit der Begeisterung für den besonderen Künstlerort ist ein bisschen spürbar. Immer wieder entdecke ich kreative Werke, Gemälde, Keramik und ähnliche Dinge. Und ich fühle mich inzwischen so sehr zum Malen inspiriert, dass ich im Winter meine Liebe zu Malen nach Zahlen entdecken werde. Und mit dem Malen nach Zahlen und Hörbüchern mit Reisegeschichten werde ich die grauen reisefreien Monate überleben.
Und auch hier sind wieder wundervolle Ausblicke in die schöne Landschaft des Luberon! Ich bin dem Luberon längst verfallen. Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass diese hügelige Landschaft aus den unscharfen 80er-Jahre Filmen mich dermaßen bezirzen könnte!
Ich muss gestehen, dass ich vorher dachte, dass man diese Lavendel-Provence ja kennt und dass es ja auch irgendwie ein bisschen kitschig ist und dass es nicht einmal Meer gibt. Und ich habe den Luberon auch nur in unsere Reisepläne eingeschoben, weil er irgendwie dazugehört. Und weil Sonja das mit den Bergdörfern so betont hat.
Und nun stehe ich hier in diesen Hügeln zwischen rosa Häusern, der Lavendel blüht nichtmal, und ich bin total berauscht.
Susi entdeckt in einem Lädchen zwei niedliche Schalen mit den Namen meiner beiden Töchter. Und wieder kaufe ich etwas nicht und werde es später bereuen. Entgegen meiner Erwartung werden meine Töchter die Schalen nämlich später zuhause auf dem Foto voll süß finden. Willkommen, ihr zwei Schalen, auf meiner Liste der später bereuten ungekauften Dinge! Ich muss einfach mal öfters ja sagen. Ich werde das üben.
Zurück bei den Autos entscheiden wir uns für die Weiterfahrt zum Meer, nämlich in die Camargue. Die Provence ist so wahnsinnig vielseitig und bunt! Erst Berge, dann die Verdonschlucht, dann Klippen, dann Streetart in Marseille, dann Weindörfer, jetzt wieder das Meer. Ich bin schon wieder total aufgeregt!
Ich liebe diese Art des Reisens so sehr, das Immer-wieder-Neue, der Aufbruch, das Ankommen, all die verschiedenen Schlafplätze, Leckereien in den Regalen, die wunderschönen Landschaften und die unterschiedlichen Lebensorte der Menschen, ihre Häuser, ihre Gärten, ihre Gesichter, ihre Geschichten und heute nicht wissen, wo ich morgen wach werde!
Das ist so wahnsinnig aufregend schön!!
Jetzt brauchen wir erstmal wieder einen Supermarkt, entdecken am Ortsrand von Coustellet an der D900 einen Aldi und räumen die Einkäufe wieder direkt vom Einkaufswagen in den Kühlschrank. I still love it, hier also das eintausendste Foto vom Einkaufswagen vorm geöffneten Kühlschrank. Bittesehr, gern geschehen.
Vom Aldi in Coustellet bis zum Strand Piemanson in der Camargue sind es 110 Kilometer. Während der Fahrt schaue ich mir bei Google-Maps meine gepinnten Fähnchen, die neben der Strecke auftauchen, an. Ein grünes Fähnchen steckt südlich von Avignon bei einer Feigenplantage.
Feigenplantage? Wir waren noch nie auf einer Feigenplantage. Da wollen wir hin.
Und so kommt es, dass wir 20 Minuten später im Schritttempo immer enger werdende Wege zwischen Feigenbäumen hindurch bis zu einer Schranke fahren. Ein freundlicher Franzose kommt aus einem zwischen viel Grün versteckten Wohnhaus mit weit geöffnetem Fenster, öffnet die Schranke und lässt uns auf seine Feigenplantage Les Figuères bei Graveson fahren.
Les Figuères Mas de Luquet
Es ist Francis Honoré, der Betreiber. Er begrüßt uns als wären wir Freunde, lässt uns seine Feigen probieren und erzählt uns dabei auf Französisch und auf Englisch, dass er auch viel gereist sei, dass er um die 150 Feigensorten aus aller Welt zusammen getragen habe und der Feigenanbau seine Leidenschaft sei.
Merkt man natürlich. Es macht Spaß ihm zu lauschen und nebenbei eine unschlagbar leckere Feigenhälfte nach der anderen samt Schale gereicht zu bekommen! Und er ist mit seinen aufgeschnittenen Feigen in der Hand auch noch der perfekte Poser für meine Reiseblog-Fotos. Findet ihr nicht?
Wir entscheiden uns für eine ganze Kiste voller Feigen und eine Packung intensiv süß schmeckender getrockneter Feigen und dürfen dann noch zwischen den Feigenbäumen herumstreunen und uns Feigen direkt vom Baum pflücken und essen.
Die Erntezeit ist allerdings so gut wie vorbei und wir entdecken nur noch einzelne Feigen.
Francis bittet uns am Ende zum Bezahlen in eine kleine Hütte.
Sehr clever, denn dort stehen Regale voller teurer, aber unwiderstehlicher Feigenchutneys und Feigenmarmeladen!
Ich lasse mich in seiner Hütte nochmal gerne von den Verkaufsstrategien des charmanten Feigenbauern verführen und kaufe auch noch Confiture Extra de Figues Noires und Chutney de Figues aux Epices. Einmal süß, einmal herzhaft. Lecker-lecker! Francis, du Schlummi, was machst du mit mir?
Zurück bei den Wohnmobilen fragt Francis, wie wir von seiner Feigenplantage erfahren haben. Ich dachte irgendwie, ich hätte ihn in einer Doku bei youtube oder so gesehen.
- De la télévision, sage ich deshalb. Er bekommt große Augen und lacht total überrascht.
- Télévision?, vergewissert er sich laut und begeistert. Ähem, oder habe ich mich gerade geirrt? Oder doch eher aus einem kleinen Reiseführer?
- Oui, bestätige ich trotzdem. Er freut sich schließlich so.
Während der Fahrt nasche ich noch ein paar Feigen.
- Meinst du, man bekommt Bauchschmerzen von zu vielen frischen Feigen? frage ich Tatti.
- Bestimmt, antwortet sie. Oh. Hm. Und nun? Wir haben eine ganze Kiste. Die bleiben ja nicht lange gut. Vielleicht was backen, überlege ich.
Fontvielle
Es ist inzwischen nach 15 Uhr und wir sind voller Eindrücke und wollen daher jetzt ankommen. Und ich will noch Mehl zum Backen kaufen.
Das Meer ist noch eine gute Stunde entfernt. Das kann bis morgen warten. Und so kehren wir auf dem nächstgelegenen nett klingenden Aire de Camping-car in Fontvielle ein. Er sieht aus wie ein ehemaliger Steinbruch.
Dort gehen wir über eine kleine felsige Erhebung an einer kleinen Mühle vorbei ins Dorf. Im Dorf kaufen wir Mehl für meinen Feigenkuchen. Auf dem Rückweg gehen wir am Boulodrome, einer Reihe eckiger Boule-Plätze, auf denen Menschengrüppchen ins Boulespiel vertieft sind, entlang und sehen eine Weile zu.
Das ist so eine nette und entspannte Feierabendbeschäftigung, Schade, dass es bei uns nicht so verbreitet ist. Wenn es eine Reihe Plätze nebeneinander in zentraler Lage gäbe, so wie hier, das wäre schön.
Nach dem Spaziergang ins Dorf habe ich - wie soll es anders sein? - Bauchschmerzen von den vielen frischen Feigen und lege mich ein Weilchen aufs Bett im Heck des Wohnmobils.
Abends grillt Tatti Lachs auf dem Scottigrill, unserem kleinen Gasgrill, der aus Eisenplatten zusammengesteckt wird. Wohnmobilisten wissen es: In Kastenwagen, die unter 3,5 Tonnen bleiben sollen, dreht sich alles um ein kleines Packmaß und (noch wichtiger!) geringes Gewicht der Dinge! Kommt man über 3,5 Tonnen, gelten LKW-Regeln, zum Beispiel in den Kasseler Bergen rechts fahren, höhere Maut und Überholverbote. Deswegen also der Minigrill.