Am Morgen posiert als Allererstes ein nettes Paar mit Fahrzeug vor meiner Handykamera, weil ich deren Auto so cool finde. Kurzer Schnack, ein Lächeln, klären, wohin es geht, gegenseitig gute Reise wünschen. Das geht ganz fix unter WohnmobilfahrerInnen, dass man zum Wesentlichen kommt als kenne man sich schon immer. Ich mag das.
Nach dem Aufstehen gehen wir wieder zurück in die Innenstadt. An einer Häuserwand wird Auguste Bartholdy, der Schöpfer der Freiheitsstatue präsentiert.
Er ist ein Sohn Colmars und hatte eigentlich eine ähnliche Frauenstatue mit Feuer für den Suezkanal entworfen, was Ägypten aber am Ende zu teuer war.
Heute Morgen leuchten die grüne Patina und das goldene Muster des schuppenartig gedeckten Kupferdaches der St.Martinskirche kräftig in der Sonne.
Plötzlich ist Susi weg. Susi hat ein Faible für Nusslikör und ist in einem Geschäft, im Vinum Colmar, verschwunden. Neugierig wie ich bin, gehe ich auch gucken und sehe erlesene Weine und Whiskeys und unterstütze Susi mit meinen lückenhaften französischen Vokabular bei der Frage nach einem Nusslikör. Noix ist Nuss. Das ist nicht so schwer.
Uns wird ein kleines Gläschen Liqueur 1850 Châtaigne aus der Destillerie Lehmann in Obernai bei Strassbourg zum Kosten angeboten und wir trinken doch glatt morgens um 10:13 Alkohol. Ähem. Vorm Frühstück. Das machen wir sonst nicht. Echt nicht.
Châtaigne heißt übrigens Kastanie, merken wir aber nicht. Susi kauft ihn als Nusslikör. Deswegen finden wir ihn bestimmt auch so apart! Wie witzig das ist!
Draußen auf dem Straßenpflaster weist ein goldenes Dreieck mit Freiheitsstatue zum Geburtshaus Barthodlys, das jetzt Museum ist. Wir sind aber lieber draußen unterwegs. Nachher müssen wir noch länger in unseren Fahrzeugen sitzen.
Wir kehren zum Frühstück bei Au croissant Doré, einem alteingesessenen Café, das von einem älteren Ehepaar geführt wird, ein. Am nostalgischen Tresen bestellen wir auf Französisch Schokocroissants und heiße Schokolade.
Wir sitzen an einfachen alten Tischen und an sonnengelben und fliederfarbenen Wänden hängt ein Sammelsurim von Kunstdrucken, Fotos, gerahmten Plakaten und Blechschildern.
Die heiße Schokolade mit Sahnehaube wird uns von der Frau gebracht. Sie spricht Deutsch. Ich stelle mir vor, dass sie dieses Café als junges Paar und mit wenig Geld eröffneten und dem Ort und ihren Gästen ihr Leben widmeten.
- Sind Sie das dort? frage ich und weise zur Wand auf ein schwarzweißes Hochzeitsbild. Nein, das habe sie an der Straße beim Sperrmüll gefunden. Oh. Okay. Da war ich wohl etwas zu romantisch drauf für die diese Welt.
Das Café ist ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Touristen. Im Fenster sind typisch französische Backwaren und alte Kaffeekannen ausgestellt. Die Croissants sind warm und köstlich und die heiße Schokolade löst Glückgefühle aus.
Ich beobachte das ältere Ehepaar und die Leute, die reinkommen. Genauso stellt man sich ein französisches Café vor.
Danach drehen Susi und ich eine Runde durch das Geschäft La Magie de Noël. Wir gehen durch verschiedene Räume, die bis unter die Decke vollgestopft sind mit weihnachtlichen Dekoartikeln in allen Variationen. Das Warenangebot überfordert mich und die wenigen Dinge, die ich mir vielleicht kaufen würde, sind zu teuer.
Wir gehen weiter ins Viertel La petite Venise. Dort fließt der Fluss Lauch, was recht hübsch anzusehen ist mit den Häusern an beiden Ufern.
Wir entdecken einen Tim und Struppi-Laden und ich mache eine Fotosession, aber unser Struppi spielt nicht so richtig mit beim Nachstellen der Szene, was ziemlich niedlich ist. Die zwei heißen in Frankreich übrigens Tintin und Milou.
Wir gelangen zur 1865 erbauten Markthalle Marché Couvert, in der es noch heute Fleisch, Fisch, Käse und Backwaren aus dem Elsass gibt. Aber sie ist recht klein, lieblos und touristisch und das Angebot reizt uns nicht.
Wir können die Rückkehr nach Deutschland jetzt einfach nicht mehr länger in die Länge ziehen. Es wird Zeit nach Hause zu kommen. Wir müssen die Hühner satteln.
Innerlich nehme ich Abschied von diesem mehr als dreiwöchigen Urlaub und von Frankreich. Im Vorbeigehen schaue ich die vorbei ziehenden Leute an und es ist für mich wie bei einem Abspann nach einem intensiven Film. Die Musik wird leiser. Die Bilder um mich herum treten immer weiter zurück und verschwinden langsam.
Ein letzter Blick auf die überbordenden Blumenarrangements und die üppig verzierten Fassaden und Adieu, la belle France. Adieu, geliebtes Vagabundenleben!
Als wir aus der Stadt herausfahren, steht sie da: Auguste Bartholdys Freiheitsstatue im Kleinformat. Mitten auf einem Kreisel. Mit Zackenkranz und Licht. Sie hat sich ein pinkfarbenes Tuch über die Schulter geworfen, das im Wind weht.
In mehr als 70 Ländern ist gerade der rosa Oktober, eine Aktion zur Bekämpfung von Brustkrebs. Ich betrachte es mal als Zeichen, als glücksbringend, dass sich unsere Wege hier heute kreuzen, denn ich war auch zweimalig betroffen. Wir packen das, Lady Liberty! Attacke!
Jetzt aber erstmal Attacke nach Hause.
Seufz.
Ich recherchiere in meinen Apps nach einem netten letzten Schlafplatz. Wir wollen nur noch höchstens zwei Stunden fahren und bei einem Weingut in der Pfalz übernachten, aber jetzt im Oktober ist es fast überall ausgebucht. Hier muss man scheinbar überall reservieren. Zumindest jetzt zur Weinlese. Irgendwie nervig.
Ich entdecke in einer meiner Stellplatz-Apps dann doch noch einen kleinen Stellplatz beim Weingut Erlenmühle in Edesheim, bei dem man nicht reservieren muss.
Die Zufahrt geht über einen schmalen Wirtschaftsweg durch den Weinberg. Sind wir hier überhaupt noch richtig?
Ja, sind wir. Da hockt es, versteckt hinter Reben und vor hohen Bäumen. Es besteht aus einem etwas größeren Wohnhaus mit einer Art Scheune und einem, kleinen Nebengebäude, alles in U-Form. Neben dem Grundstück ist ein abschüssiger Weg, an dem ein Trecker steht.
Beim Trecker können wir übernachten, erfahren wir von einem netten Mann, den wir nach ein bisschen Suchen auf dem Hof finden. Er redet viel und redet pfälzisch und lächelt die ganze Zeit und wir verstehen fast nichts, aber er zeigt zu dem abschüssigen Weg.
Das ist so schief da, dass unsere Auffahrkeile auch nichts mehr retten können.
Im Hof sind ein paar Tische und Bänke und eine Bar. Man kann hier normalerweise einkehren bei einer Weintour und bekommt auch Flammkuchen oder Zwiebelkuchen. Wir erfahren, dass heute eigentlich geschlossen ist, aber der Mann, der immerzu lacht, wird uns trotzdem was zu essen machen. Sehr nett! In einer Stunde ist das fertig, sagt er.
Wir machen einen Spaziergang durch die Weinfelder und sitzen um 16:30 brav am Biertisch im Innenhof unserer versteckten Straußwirtschaf (von Winzern und Weinbauern saisonal geöffneter Gastbetrieb).
Wir bekommen für einen Minipreis leckere selbstgemachte Flammkuchen serviert. Beim Essen kommen wir uns Plaudern mit unserem neuen Freund.
Erst verstehen wir wieder fast nichts, dann die Hälfte und schließlich haben wir uns aneinander gewöhnt und verstehen genug.
Er habe mal in Lüneburg Reitsportartikel verkauft. Und er erzählt uns, dass die Frau des Winzers gestorben sei und dass die Schwiegertochter nun für drei arbeite. Wir haben sie auch schon mit einem Traktor und einem ihrer Kinder an uns vorbeifahren sehen. Und ich habe beobachtet, dass sie sich trotz aller Arbeit viel Zeit für das Kind nahm.
Er bietet uns Weine und Liköre zum Kosten an. Ach, na klar, her damit! Das passt ja zum Tag, der heute Morgen schon mit der Likörverkostung in Colmar begann!
Ich entdecke einen herrlich frischen Weißwein für mich. Und Susi und Tatti sind hin und weg von einem Butter Scotch und einem Marzipan- und einem Pistazienlikör.
Vater und S0hn machen außer Wein auch ziemlich gute Edelbrände. Sie haben 2013 das erste Mal bei einer Edelbrandprämierung der Landwirtschaftskammer Rheinland Pfalz mitgemacht und gleich zwei Gold- und eine Silbermedaille gewonnen.
Wir lachen viel und verkosten dies und das und dann holt unser neuer Freund noch eine Flasche und noch eine. Unser letzter Schlafplatz ist genau nach unserem Geschmack! Kein Schickimicki, ehrliche Leute, leckerer Flammkuchen, gute Weine und Liköre und alles zu fairen Preisen! Und so schön gelegen und urig!
Und dann ist Abend und wir sind wirklich endgültig am Ende unserer schönen Reise angekommen. Uns trennen nur noch 585 km von Lüneburg. Menno!
Ich liege länger wach, halte den letzten Tag noch ein bisschen fest mit all seinen Facetten und nehme schließlich die heiße Schokolade aus Colmar mit in meine Träume.