Das Kuhglockengeläut mischt sich morgens in meine Träume. Da fällt mir wieder ein, wo wir sind und ich lasse mich aufgeregt aus dem Bett rutschen, stelle mit der einen Hand den Kessel mit Wasser auf die Flamme und krame mit der anderen schon nach meiner Zahnbürste und genieße es dann, den Morgen mit frisch gebrühtem Kaffee draußen zu erleben. Die Kühe bekommen mit ihrem Geläut meine beiden Mitreisenden auch schon bald wach, so dass unsere Reise langsam weitergehen kann.
Jetzt im September sind die Straßen so schön leer und mit dem Wetter haben wir auch Glück.
Es geht bergab zum Ort La Giettaz. Zuerst sehen wir nur ein Tal, dann die Kirchturmspitze und die Dächer der Häuser, dann tauchen wir von oben ein in den Ort und halten Ausschau nach einer Boulangerie (Bäckerei). Wir brauchen Baguette oder Croissants. Wir wollen nämlich auf dem nächsten Pass, unserem Pass Nummer drei, dem Col de Saisies, frühstücken.
Wir parken neben der Boulangerie Épicerie Le Fournil des Aravis und ich husche hinein für unser Baguette. Es ist ein süßes kleines Lädchen mit verlockendem Obst, Gemüse, Souvenirs, Brot, Kuchen, Wein, Käse und Wurst. Und weil Fromage und Vin auf den Schildern steht und auf französisch gleich alles doppelt lecker klingt, verselbständigt unser Baguette sich in eine prall gefüllte Kiste.
Wir sollten vorsichtshalber hier unten noch tanken und machen deswegen zehn Minuten später im Ort Flumet einen kleinen Abstecher zu einer hübschen Tankstelle, die sich im Nachbarort Saint-Nicolas-la-Chapelle befindet.
Wirklich hübsch, die Tankstelle, mit dem vielen Holz und den Bergen dahinter! Wir tanken also heute hübsch und die Reise kann mit vollen Tanks weiter und wieder hoch in die Berge gehen.
Wir fahren nochmal durch den Ort Flumet zum nächsten Pass. Flumet ist ein netter und momentan ruhiger Ort. Er wirkt gerade ein bisschen ausgestorben. In der Skisaison steppt hier aber bestimmt auch der Bär.
Am Ortsausgang queren wir den Fluss Arly über eine schöne alte Brücke und befinden uns unterhalb der Nordauffahrt von Pass Nummer 3, dem Col des Saisies, unserem heutigen Frühstücks-Pass.
Col des Saisies
Gleich hinter der Brücke bringen uns sechs kurz hintereinander liegende scharfe Kurven ein ordentliches Stück höher und Susi und Tatti kommen ordentlich ins Schwitzen. Unsere Motoren quälen sich laut brummend durch die Serpentinen und Tatti muss durchgehend das Lenkrad abwechselnd weit hin- und herkurbeln. Ich drehe mich zu Susis Van um. Sie ist zwar kurz hinter uns, aber wir befinden uns trotzdem schon über ihr. Verrückt ist das! Auch sie guckt hochkonzentriert. Ich mache ein Foto vom weißen Bulli und freue mich wie Bolle über den hübschen Kirche-Brücke-Berg-Hintergrund.
Später wird Susi über Muskelkater in Armen und Beinen vom Schalten und Kupplung treten klagen. Und sie wird sagen, dass ihr nächster Van auch Automatik haben soll.
Dann cruisen wir ganz entspannt durch ein bewaldetes Gebiet und halten nach einem geeigneten Picknickplatz zum Frühstücken Ausschau.
Im Ort Notre-Dame-de-Bellecombe ist ein bisschen mehr los. Es gibt mehrere Pensionen und Geschäfte. Mitten im Ort liegt in einer Kurve ein Wohnmobilstellplatz. Der Ort ist hell und freundlich und der Stellplatz liegt schön zentral zu den Restaurants, aber es ist erst zwanzig nach Zehn, also noch lange nicht Schlafenszeit. Also merken wir ihn uns für irgendwann einmal vor und fahren weiter.
Leere Sessellifte surren über unsere Köpfe hinweg und auf den grünen Hügeln um uns herum verteilen sich Häuser im savoyardischen Stil. Ich stelle mir vor, dort im Schnee den Winter zu verbringen. Das muss total romantisch sein, aber auch knackig kalt, denn die Savoyen sind die höchstgelegene Landschaft Europas.
Ach, wie gerne würde ich auch mal wieder Skifahren, aber leider wäre das weder für meine Knie noch für der Rest meines Körpers gerade die passende Sportart. Und Tatti hätte auch was dagegen. Sie hasst es im Winter unterwegs zu sei. Und ich brauche auch immer meine gesamten zur Verfügung stehenden Urlaubstage für unsere beiden großen Reisen in den wärmeren Monaten.
Ich hänge meinen Gedanken nach. Gibt es nicht doch noch eine Möglichkeit noch einmal in großen Schwüngen den Schneehang hinuntergleiten? Hmm...
Dann unterbricht das nächste imposante Bergpanorama in der Ferne meine Träumereien. Immer wieder ragt hinter einer Kurve oder Kuppe eine Bergkette in die Höhe. Um uns herum befinden sich mit der Aravis-Kette, dem Beaufortain-Massiv und dem Montblanc-Massiv spektakuläre Hochgebirgslandschaften.
Nach knapp fünfzehn Kilometern und gut zwanzig Minuten sind wir auf der 1.650 Meter hohen Passhöhe. Vor uns liegt nun der große Parkplatz des schneesicheren Skigebietes Les Saisies und um uns herum befinden sich Lifte, Bergrestaurants, grasbewachsene Skipisten, Wiesen, Wälder und Berge.
Der ideale Rundumblick zum Frühstücken, finden wir. Wir stellen die Vans hintereinander an der Kante ab und genießen erstmal den Blick.
Dann holen wir Tisch, Stühle und Tischdecke raus. Ich koche Eier und Kaffee und so sitzen wir dann da, Croissant kauend in der Bergsonne im Grünen, wo sonst eine dicke Lage Schnee liegt und die Schritte der schweren Skistiefel knirschen und klackern.
Nach dem Frühstück probiere ich meine Berggipfel-App nochmal aus, will verstehen, welcher Berg wo ist, müsste aber bei der nächsten Nutzung eine Pro-Version freischalten und zahlen und dafür ist es mir nicht wichtig genug. Ich bin ja eigentlich keine Bergwandererin. Und ich zahle schon für einige Pro-Versionen der Wohnmobilstellplatz-Apps eine Jahresgebühr.
Anschließend spülen wir in aller Ruhe das Geschirr, verstauen alles und es geht weiter. Hektik und Stress sind längst Fremdwörter für uns.
Wir fahren durch die beiden weiteren Skiorte Hauteluce und Villard sur Doron und landen im Ort Beaufort, wo wir auf den nächsten Pass, den Comet de Roselend, starten.
Wir überholen mal einen Rennradfahrer und mal hängt ein Fahrrad an einem Sessellift über uns, aber sonst ist es auf dieser Passtraße unbelebt.
Am Lac de Roselend angekommen, wollen wir eigentlich rechts abbiegen und hinunter zum See fahren, lassen uns aber von einem Schild verunsichern und parken erstmal oben an der Straße.
Dort ist eine kleine Fotoausstellung auf Holzpfählen, aber den See können wir gar nicht richtig sehen.
Als wir andere Wohnmobile hinunterfahren sehen, lassen wir uns den Text auf dem Schild von google Übersetzer übersetzen, interpretieren es anders, und trauen uns mit den Fahrzeugen nun auch hinunter zum See.
Am Ende der kleinen Straße, die zum Seeufer und zur Talsperre führt, offenbart sich uns ein traumhafter Übernachtungsplatz direkt am See. Was für eine Idylle und Stille und Schönheit! Das ist der Wahnsinn!! So märchenhaft!
Lac de Roselend
Wir parken direkt am Seeufer und ich bedaure es ein bisschen, dass wir noch so im Flow sind und es nicht schon Abend ist und wir noch gar keinen Schlafplatz brauchen. Wir überlegen trotzdem kurz zu dritt, ob wir hier bleiben, entscheiden uns aber dagegen, weil wir so neugierig auf die Pässe sind, dass wir weiterziehen wollen.
Anstattdessen spazieren wir ein kleines Stück zum Staudamm Barrage de Roselend. Der Staudamm soll besonders ästhetisch sein. Das muss ein Irrtum sein. Ich kann an dem Betonmonster nichts Schönes finden.
Dafür ist die Kapelle der heiligen Magdalena, die ich bei der Weiterfahrt oberhalb des Sees entdecke, ein ästhetischer Augenschmaus, rustikale gelbe Steine, ein Türmchen, zwei Glöckchen, dahinter das Türkis des Roselend-Stausees und malerische Berghänge. Ist das Licht heute so besonders oder ist es hier immer so schön?
Die süße kleine Kapelle stand eigentlich unten im Tal bis der Staudamm gebaut und das Dorf geflutet wurde. Sie hatte Glück, dass sie originalgetreu hier oben wieder aufgebaut wurde. Am Grund des Stausees befinden sich noch fünfzig Almen, die inzwischen vermutlich nur noch aus Mauerresten bestehen. Es wurde früher so vielen Menschen ihr Zuhause genommen durch Staudämme und Überflutungen, nicht nur hier. Wie schrecklich das gewesen sein muss, seine Kindheit, sein Zuhause, seine ganze Lebensgeschichte, alles unter den Fluten zurücklassen zu müssen!
Bis zu unserer nächsten Passhöhe sind es noch zehn kurzweilige Kilometer durch wilde schöne Landschaft! Wow!
Cormet de Roselend
Eine Viertelstunde später sind wir auf der Passhöhe des Cormet de Roselend und merken es nicht. Es ist ein großzügiger Wanderparkplatz und ich habe nur Augen für die Berge in der Ferne. Ich mache zufällig ein Foto, so dass ich die Passhöhe nachträglich wiederfinden kann.
Ich mag die schöne karge Landschaft hier in fast 2.000 Metern Höhe wirklich sehr!
Hin und wieder passieren wir kleine geschlängelte Wege, alte Steinbrücken, von oben kommende Bäche und fröhliche kleine Wasserfälle.
Dann fahren wir durch einen halboffen Tunnel und unter einem Gebirgsbach, dem Nant Cruet hindurch, der hier ins Tal stürzt und in die Isère mündet.
Schließlich erreichen wir den nächsten Stausee, den Lac du Chevril bei Tigne.
Im Innenbogen der Staumauer befinden sich ausgebleichte Reste eines monströsen Freskos von Herakles, der mit seinen Schultern die Staumauer hält. Das Fresko nennt sich Géant de Tignes und ist aus 1989.
Herakles´ Haarschopf wäre von der Straße aus eigentlich noch ein wenig zu erkennen. Aber ich weiß nichts von einem Fresko und sehe es deswegen nicht, fotografiere aber den Staudamm im Vorbeifahren. Erst später beim Lesen der Geschichte der Staumauer werde ich von Herakles erfahren und dann meine Fotos erstmal genauer unter die Lupe nehmen.
Rechts vor der Staumauer geht eine Straße hoch zu den Ortsteilen, die zusammen den Ort Tignes bilden. Wir sehen die Kirchturmspitze des vordersten Ortsteils und erste Appartementkomplexe oben auf einem felsigen Steilhang thronen, fahren aber links am Stausee entlang und weiter.
Das alte, das ursprüngliche Tignes wurde 1952 von der aufgestauten Isère ertränkt. Tja, schon wieder Dramen, die sich da abgespielt haben müssen. Sag ich doch.
Wir fahren am Ufer entlang durch eine lange Reihe in den Fels gebauter Gallerien und kurze Tunnelstücke, und können währenddessen den Stausee Lac de Chevril gut sehen. Er ist heute auf eine schöne Art dramatisch dunkel.
Weiter geht es durch das Val-d´Isère, das Tal der Isère, Richtung Col de L´Iseran, unserem Pass Nummer fünf.
Val-d´Isère
Der Ort Val-d´Isère ist ein schneesicherer Ort mit einer steilen Weltcup-Skipiste und sogar mit Gletschern zum Sommerskifahren. Und der Col de L´Iseran lockt Radfahrer her. Jetzt im September stehen die meisten Appartenmentkomplexe leer, eine Geisterstadt, aber zumindest hat ein kleiner Spar-Laden geöffnet. Wir haben nämlich schon wieder Hunger und nur noch wenig zu essen an Bord.
Wir kaufen einen Salatkopf, Tomaten und Gurke und ein paar abgepackte Würste, die wir für Grillgut halten.
Als Susi und Tatti noch rauchen, schaue ich auf meinem Handy nach der Uhrzeit und frage die zwei
- Na, wie sieht´s aus? Habt ihr noch Lust? Tatti guckt auf die Uhr und meint
- Geich vier, reicht für heute, oder? Das findet Susi auch. Und ich auch. Ich verrate, dass in fünf Kilometern auf dem nächsten Pass ein toller Schlafplatz ist.
Auch der Col de L´Iseran ist geöffnet. Normalerweise ist er von Juni bis Oktober geöffnet. Aber ich sagte ja bereits, man weiß ja nie. Und der hier ist höher und wir haben immer noch keine Ahnung, wie das Wetter sich hier in den französischen Alpen normalerweise verhält.
Col de L´Iseran
Der Col de L´Iseran ist mit einer Höhe von 2.764 m der höchste überbefahrbare Gebirgspass der Alpen und wird unser letzter Pass sein. Aber das werden wir erst morgen beschließen.
Der Pass ist insgesamt 47 Kilometer lang. Schon in acht Kilometern befindet sich ein kleiner Wanderparkplatz, auf dem wir wahrscheinlich übernachten können. Ich bin mir ziemlich sicher, das wir ihn lieben werden bei dem, was ich bei Google Streetview gesehen habe.
Die Strecke ist sehr gemächlich und ruhig. Wir fahren durch das obere Isèretal. Die Isère kommt uns aus kleinen Gletscherseen, die sich in den Bergen vor uns befinden, entgegen. Sie fließt als schmaler Fluss mit kaltem Wasser durch die Almwiesen. Wir befinden uns hier im Nationalpark La Grande Sassière und vor unserer Nase in den Bergen ist die italienische Grenze.
Pont Saint-Charles
- Da vorne ist es, sage ich aufgeregt und Tatti biegt vor einer kleinen steinernen Brücke, der Pont Saint-Charles links ab auf einen Sandparkplatz. Hier gibt es sogar eine Toilette. Aber die interessiert mich ehrlich gesagt nicht so. Ich habe nur Augen für die wieder mal atemberaubende Umgebung!
Die Motoren gehen aus, ich gehe zwischen Fahrer- und Beifahrersitz hindurch nach hinten und öffne die Schiebetür von innen und schon ist das schöne Panorama Teil unseres Zuhauses. Jetzt höre ich auch das laute Rauschen der Isère, die am Platz entlang fließt. Tatti und Susi trteffen sich draußen und bereden, wie wir über Nacht parken wollen. Ich stehle mich davon und setze mich auf die Mauer der Brücke, lasse die Beine baumeln und muss buchstäblich heulen vor Glück.
Ich lasse den Ort auf mich wirken und beobachte von hier oben, wie unsere Vans nochmal umgeparkt werden. Sie sollen offensichtlich nicht so schief stehen bleiben und der Länge nach am Fluss stehen. Rechts neben mir am Grashang höre ich das Pfeifen von Murmeltieren und unter mir plätschert das Gebirgswasser. (Ganz schön laut übrigens!) Tatti und Susi kramen jetzt zwischen unseren offenen Hecktüren. Dann fährt Tatti auf Auffahrkeile, steigt aus, begutachtet ihr Werk, nickt und zündet sich eine Zigarette an.
What a wonderful world it could be!!!
Danach gehe ich den Grashang halb hoch auf der Suche nach den Murmeltieren, die ich piepsen gehört habe.
Und dann entdecke ich plötzlich eines nicht weit von mir im Gras. Es kommt aus seinem Bau, sieht mich, erstarrt, schaut schnell weg, piept und rennt wieder in den Bau.
Dann kommt es wieder raus, richtet sich auf, dreht sich hektisch hin und her und verharrt schließlich aufrecht mit einem festen Blick in meine Augen. Und so stehen wir zwei da auf dem Hang, das Murmeltier und ich. Und warten. Auge in Auge. Und das ist sooo süß! Mein spezieller Bergwelt-Moment! Das Murmeltier ist so nah! Vielleicht ist es eine Mutter und die Jungen sind im Bau.
Dann wendet es sich wieder ab, bleibt aber vorm Bau hocken. Ich mache ein Foto und ziehe mich dann vorsichtig und langsam zurück und lasse den Hang und meine neue kleine Freundin wieder in Ruhe.
Auf der Straße fahren erst noch ein paar Autos und Motorräder vorbei, aber gegen fünf ist schon fast gar kein Verkehr mehr. Nur noch das Rauschen des Wassers ist zu hören, gelegentlich begleitet von den piependen Lauten der Murmeltiere am gegenüberliegenden Hang. Wir stehen hier mit einer Handvoll anderer Wohnmobilisten.
Den ersten Hunger stillen wir mit Kaffee und frischen französischen Eclairs, Appenzeller Bärli-Biber und Linzer Törtli-Keks, was sich alles auf dem Weg über die Schweiz hierher angesammelt hat.
Dann dusche ich. Das Duschen irgendwo in der Weite der Natur, oben in diesen beeindruckenden Bergen, mit warmem Wasser, das ist sehr sehr schön! Dafür gibt es keine Worte!
Das warme Wasser rieselt auf deine Haut, während um dich herum diese riesigen Berge sind und Murmeltiere piepsen und Gletscherwasser plätschert. Und sogar Steinböcke soll es hier geben. Während du dich einseifst, weiß du, dass dies gleich dein Abendessen-Ambiente ist. Und wenn du dich im beheizten Wohnmobil auf dem Col de l´Iseran abtrocknest, bist du Lichtjahre entfernt von deinem anderen Leben. Von deinem Job, deinen Sorgen. Glaub mir. Da gibt es nur noch dich und Freiheit und Abenteuer.
Der Parc national de la Vanoise, in dem wir uns befinden, wurde übrigens mal zum Schutz des Steinbocks gegründet. Ich gehe nach dem Duschen in meinen Crocs einen Weg am Ende des Parkplatzes hoch und sehe mich im näheren Umfeld des Wanderparkplatzes ein wenig um.
Um den Steinbock zu Gesicht zu bekommen, müsste man weiter wandern. Nach einer Wanderstunde kommt eine Schutzhütte, von wo aus man verschiedene Routen nach Italien wandern könnte, was zwar nur gut zehn Kilometer hin und zurück wären, aber zu einem Dreitausender führt und 1000 Höhenmeter (!) beinhaltet. Das ist zu anspruchsvoll für uns. Und Hunde sind sowieso verboten, auch angeleinte Hunde. Aber die Vorstellung, zur italienischen Grenze oben in den Bergen zu wandern, finde ich trotzdem ziemlich klasse! Ländergrenzen haben immer etwas Faszinierendes, finde ich. Und Bella Italia sowieso.
Ich setze mich auf einen Felsen und schichte ein umgefallenes Steinmännchen neu. Nebenbei beobachte ich das Treiben auf dem Platz.
Ein Mann in meinem Alter kommt nur mit Handtuch um seine Hüfte und in Badelatschen aus seinem Wohnmobil und steigt ein paar Schritte weiter nackt in ein kleines gestautes Becken der Isère. Oh mein Gott, der macht das wirklich und wäscht sich da! Das ist eiskalt! Wie abgehärtet muss man sein, um das zu tun? Zum Glück haben wir eine Dusche und einen Warmwasserboiler.
Auf dem Weg zurück, gehe ich zum Wasserbecken und überlege, ob ich es auch schaffen würde, dort einzutauchen. Das härtet bestimmt gut ab und wäre noch viel näher dran an der Natur. Ich hocke mich hin und lasse meine linke Hand ins Wasser baumeln. Es ist eiskalt! Oh mein Gott!! Niemals würde ich da nackig komplett reinsteigen!
Dann gehe ich meinen allabendlichen Routinen, die mir viel viel Freude bereiten, nach. Ich zeichne das neue Routenstück ein, schreibe Reisetagebuch, suche das Foto des Tages aus, drucke es aus und klebe es ins Reisetagebuch und ich stelle unsere Tageseindrücke in meinen WhatsApp-Status. Meine Leute in Deutschland sind auf diese Art immer hautnah dabei! Und sie sagen, dass sie es sehr genießen.
Als ich fertig bin, brät Susi uns gerade die abgepackten Würste aus dem Spar von vorhin. Darauf steht Diots de Savoie-Fumé au bois de hêtre non Galibier. Tisch und Stühle stehen auch schon bereit fürs Abendessen.
Ich werde später feststellen, dass hier auf dem Wanderparkplatz zwar das Übernachten, nicht aber das sogenannte Campingverhalten (Rausstellen von Tisch und Stühlen) erlaubt ist. Aber ahnungslos wie wir jetzt noch sind, breiten wir uns rund um die Autos aus.
Aber es ist ja auch nichts los und wir nehmen Niemandem den Parkplatz weg und der Natur schadet unser Abendessen meiner Meinung nach auch nicht. Und es kommt auch Niemand und meckert. Aber trotzdem nicht nachmachen, Leute!
Unsere Diots - so recherchiere ich - sind typisch für Savoyen. Sie sind aus Schwein und Gemüse und diese hier sind über Buchenholz geräuchert. Ah ja. In Susis Bratecke riecht es auf jeden Fall superlecker, findet auch Hannes. Ich koche Kartoffeln und Tatti schneidet Tomaten, zerbröselt Feta und zupft Salatblätter klein.
Das Abendessen ist perfekt mit den kross gebratenen Würsten, Grillkäse, heißen Kartoffeln, Salat, Wein, Baguette und mit einem zartrosa Abendhimmel.
Wir genießen, stoßen an, reden, erzählen uns, was wir bisher am Schönsten fanden, was noch kommt, erzählen, was uns traurig und was uns glücklich macht, was wir vermissen und was wir nicht vermissen und was in den Tagen vor der Abfahrt in unserem anderen Leben dahinten hinter den Bergen noch so los war.
Es ist erst Tag fünf, der gerade zuende geht, aber es fühlt sich so an, als würden wir schon immer in diesem Leben hier leben. Unser Alltag ist Lichtjahre entfernt.