Als ich wach werde, schiebe ich gleich das Rollo hoch und sehe knalleblauen Himmel! So soll es sein! Wie viel hübscher die Gegend im Sonnenschein gleich ist!
Optimistisch stellen wir uns unserer ersten Tages-Challenge, nämlich Susis Bulli wieder vom Platz zu bekommen. Das Franzosenpaar will ich nicht schon wieder belämmern. Jetzt können wir ja in Ruhe alles selber telefonisch klären. Schließlich wirbt Camping-Car Park damit, dass sie alle Sprachen sprechen, auch Deutsch.
Also verstauen wir alles, sichern Schranktüren, Klotür und Hannes´ Kiste. Dann positioniert Susi den Bulli in der Nähe der Schranke und ich rufe die Hotline an. Ich habe nach einigem Hin und Her und ein bisschen Warten eine junge Männerstimme im Ohr, die nicht zu verstehende deutsche Begriffe aneinanderreiht. Mich versteht er gar nicht. Der hat in seiner Bewerbung bei der Frage nach Fremdsprachen eindeutig gelogen.
Englisch können wir beide dann aber gut genug und haben nach zwanzig Minuten, einigen Missverständnissen und einer hektisch nach ihrer Kreditkarte suchenden Susi einen neuen Camping Car Park-Account mit Guthaben für Susi eingerichtet. Die Männerstimme bucht den Betrag für die Nacht gleich ab und öffnet aus der Ferne die Schranke. Merci. Endlich! Die Männerstimme ist genauso erleichtert wie wir.
Wir entscheiden uns für die schnellste Route zur Verdunschlucht. Sie führt im Bogen über die A51 an der Durance entlang. An der Route liegt Sisteron. Einen Blick auf Sisteron zu werfen, reizt mich doch sehr, wie die Häuser da vorm felsigen Berg kauern.
Also fahren wir nach einer Stunde von der Autobahn ab und hinein in den Ort Sisteron, sehen aber gleich, dass es eng und brechend voll ist. An ein zentrumsnahes Parken ist nicht zu denken!
Anstattdessen halten wir kurz auf einem kleinen überfüllten Parkplatz und versperren den Weg für die nachfolgenden Autos. Ich beharre darauf, trotzdem kurz auszusteigen für ein Foto. Hinter uns ist Susi. Dahinter hupt jemand.
Von hier hat man aber doch den besten Blick auf den markanten Felsen mit den Häusern davor! Menno! Hier können wir unmöglich länger stehen bleiben, aber ein Motiv der Superlative geht wirklich vor. Egal jetzt! Blitzschnell schlüpfe ich trotzdem vom Beifahrersitz ins Freie. Die Chance werde ich nie wieder haben!
Wieder höre ich hupen. Ich renne trotzdem zum Rand des Parkplatzes, knipse, renne zurück und springe wieder ins Auto und gucke vorsichtshalber gleich nach rechts aus dem Beifahrerfenster anstatt in Tattis Gesicht. Dann sehe ich mir das schnell geknipste Bild an und grinse zufrieden.
Wir fahren weiter durch den Ort und wägen währenddessen doch nochmal ab, ob ein Besuch von Sisteron, der einen längeren Fußmarsch beinhalten würde, lohnt, entscheiden uns dann aber dagegen und für die Weiterfahrt gen Süden.
Die Weiterfahrt auf Landstraßen wird wieder entspannter. Sie führt uns über die Route Napoleon (RN85) und durch das weitläufige Tal des Flusses Asse.
Nach einer Weile wird unsere Umgebung gebirgiger, die Straße kurviger und der Straßenrand felsiger.
Sehr hübsch hier! Und schon ein passender Vorgeschmack auf die Umrundung der Verdonschlucht. In einer halben Stunde werden wir in Castellane, dem Tor zur Verdonschlucht, sein.
Schon drei Kilometer vor Castellane sehen wir in der Ferne den riesigen senkrecht in die Höhe ragenden Felsen mit der Kapelle Notre Dame du Roc darauf. Hey, denke ich, da sind wir wieder. Ich setze mich aufrecht hin und klatsche ein paar Mal in die Hände vor Wonne, reibe sie und klatsche wieder. Und grinse. Wie ein Kind. Ich freu mich so! Tatti lächelt und konzentriert sich weiter auf die Straße.
- Passfahren hat auch echt gereicht, sagt sie dann.
- Ja, finde ich auch, antworte ich. Wie gut, dass wir jetzt hierher gefahren sind. Ich liebe unser Wohnmobil in solchen Momenten so sehr! Die Reise passt sich jeden Tag neu an uns an und wir können da sein, wo die Sonne scheint.
In Castellane-du-Roc halten wir am Fuß des Felsens und sehen uns um. Der Parkplatz lädt dieses Mal überhaupt nicht zum Bleiben ein. Er sieht verkommen aus. Und Susi ist auch schon so herrlich gespannt auf die Verdonschlucht, dass wir nach einer kurzen Pause, einem Snack und einem kleinen Fotoshooting mit Wohnmobil, Berg und Kapelle weiterfahren.
Der Ort Castellane ist an sich noch immer niedlich und schlummert unter blauem Himmel vor sich hin.
Von Castellane bis zur Verdunschlucht, genaugenommen dem ersten besonderen Haltepunkt, dem Balcon de la Mescla, einer Aussichtsterrasse am Südrand, sind es noch dreißig landschaftlich auch schon sehr schöne Kilometer.
Die Straße schlängelt sich fröhlich am Oberlauf des Verdon entlang. Die Stimmung im Auto ist prima. Natur tut einfach gut! Und Sonne auch!
Und dazu kommt, dass wir die Strecke kennen und uns deswegen entspannt und sorgenfrei zurücklehnen und genießen. Wir wissen, dass keine beängstigenden Passagen zu erwarten sind und uns wunderschöne Ausblicke erwarten. Und das bei dem Kaiserwetter!
Die Felsen ragen so weit auf die Straße, dass wir in den Kurven manchmal weit bis auf die Gegenfahrbahn ausholen müssen.
In der Ferne sehen wir den Bergort Trigance auf einem Hügel liegen. Dort haben wir letztes Mal übernachtet. Er ist auch sehr hübsch.
Dieses Mal fahren wir an der Abfahrt vorbei und folgen den Schildern zu den Gorges du Verdon und zwar zum Rive Gauche, dem linken Ufer, das südlich der Schlucht verläuft. Wir werden die Schlucht im Uhrzeigersinn umrunden.
Die Verdunschlucht
Am Balcon de la Mescla, unserem ersten Aussichtspunkt, parken wir und gehen ein paar Stufen hinunter zur Aussichtsterrasse. Ich beobachte Susi. Sie beugt sich über die Brüstung und schaut 250 in die Tiefe, wo die Flüsse Artuby und Verdon zusammenfließen. Sie ist still, scheint zu genießen, macht Fotos und guckt gerührt.
Nach links können wir weit in die Schlucht hineinsehen. Sie ist gigantisch tief und beeindruckend in die Felsen geschnitten.
Dann fahren wir am Rand der Schlucht entlang Richtung Westen. Unser nächster Haltepunkt ist an der Pont de L`Artuby. Wir gehen auf die Brücke und fühlen auch hier wieder große Ehrfurcht vor der Natur. Wir stehen weit mehr als hundert Metern über dem Fluss. Die Pont d´Artuby ist ein beliebter Haltepunkt und an ein paar Ständen kann man teure Souvenirs oder kleine Snacks kaufen.
Wir reden gar nicht viel, sondern schauen, staunen und genießen das Hiersein. Ich mache Fotos. Tatti und Susi rauchen.
Dann fahren wir weiter Richtung Westen. Hier gibt es keine Orte oder andere Straßen, sondern nur diese Strecke immer in hoher Höhe am Berghang entlang. Gegenüber sehen wir das andere Ufer der Schlucht und die Straße dort, ebenfalls in schwindelerregender Höhe eng am Berghang entlang.
Zwischen zwei Tunneln ist eine kleine Parkbucht, an der wir kurz halten. Tatti guckt besorgt in den Seitenspiegel. Sie hasst diese Haltebucht, findet es gefährlich hier zu halten. Ich sehe das etwas entspannter, beeile mich ihr zuliebe aber trotzdem.
Und schon geht die Verdon-Umrundung weiter. Raus aus dem Tunnel, rein in den Himmel und immer wieder spektakuläre Aussichten.
Beim Hôtel Grand Canyon du Verdon halten wir auch wieder und Susi und ich gehen durch das Hotel auf die dahinter liegende Terrasse. Das darf man, um sich für Fotos nicht rechts neben dem Hotel an einer gefährlichen Stelle in Gefahr begeben zu müssen. Auf der Terrasse sitzen Hotelgäste und der Kellner beobachtet uns. Wir fühlen uns wie Eindringlinge und gehen wieder, um doch noch an der gefährlichen Stelle durch die Büsche zu gucken.
Vorm Hotel wirbt ein Schild für Bière des Gorges. Schluchtenbier. Aha. Es wird in der Nähe gebraut und einige Sorten enthalten Lavendelhonig oder Safran oder Rosmarin aus der Region. Klingt interessant, es ist aber nicht der richtige Zeitpunkt für ein Bierchen.
Knapp neun Kilometer weiter können wir von einer Aussichtsterrasse aus die tief einschneidende Schlucht mit dem hellblauen schmalen Band des Flusses und in der Ferne auch schon den türkisfarbenen Lac de Sainte-Croix hinter den Bergen sehen.
Am westlichen Ende der Verdonschlucht fahren wir bergab durch den Ort Aiguines hinunter zum See. Ein Schloss in Traumlage und mit Weinhängen ist Teil des Dorfes und auch Wohnhäuser und Gaststätten mit Balkonen und Terrassen, von wo aus man über den See gucken kann.
Die Durchfahrt besteht aus einigen scharfen Kurven zwischen den Häusern am Hang. In der Ortsmitte ist ein kleiner langgezogener Platz mit Springbrunnen und einer Handvoll kleinerer Restaurants mit Außensitzplätzen. Es gibt einen Campingplatz, eine Kirche, eine Kapelle und ein Holzmuseum. Und von fast überall hat man Seeblick.
Pont du Galetas
Und dann sind wir auch schon wieder raus aus dem Ort, fahren ein kurzes Stück am See entlang und parken bei der nächsten Brücke, der Pont du Galetas, die unten am See über den Verdon führt.
Das ist ein beliebter Spot für alle Besucher der Schlucht. Man kann am einen Brückengeländer über den See schauen und gegenüber am anderen Geländer guckt man in die Schlucht hinein. Und die helltürkise Farbe des Wassers ist sehr sehr spektakulär!
Wir verweilen lange auf der Brücke, beobachten Tretbootfahrer, Stand-up-Paddler, Kayakfahrer und Jugendliche, die auf die Felsen klettern und von dort herunterspringen.
Auch auf dem See sorgen bunte Boote für Sommeridylle mit bunten Farbklecksen.
Die Jugendlichen springen waghalsig von den Klippen, obwohl das Springen von der Brücke oder den Klippen verboten ist. Es gab zehn Tote in zehn Jahren! Wie furchtbar! Und alles nur wegen dummer Ideen! Von der Brücke prallt man mit siebzig Stundenkilometern auf das Wasser auf. Viel zu hart!
Und es besteht auch noch die Gefahr, dass man unter Wasser in einem Lehmhügel steckenbleibt. Diese Jungs hier schert das Schild mit der eindrücklichen Warnung offensichtlich kein bisschen. Bin ich froh, dass meine Kinder aus dem Richtig-Dumme-Ideen-Alter raus sind!
Wir genießen noch ein bisschen die ganzen Blautöne, beobachten Menschen und schauen schließlich hinüber zum Steilufer und überlegen, ob wir morgen vielleicht auf einem der dortigen Übernachtungsplätze die Nacht verbingen wollen. Mal sehen.
Erstmal setzen wir jetzt unsere Runde um die Verdonschlucht fort. Nun ist das linke Ufer, also das Nordufer, dran. Und da befindet sich ein Ort mit einem netten Campingplatz. Mit Waschmaschine. Und genau das brauchen wir jetzt.
Gleich hinter der Brücke geht es rasant in die Höhe. Auch von dieser Seite sieht die Verdunschlucht beeindruckend aus.
Kurve um Kurve schlängeln wir uns oberhalb des Wassers auf halber Höhe durch die Schlucht. Und Susi fährt hinter uns her und ist begeistert.
In Ort La Palud-sur-Verdon freue ich mich wie schon beim letzten Mal über beschauliche Stimmung, zwei Restaurants und hellblaue Fensterläden. Man merkt weder Touristenströme, noch sonderlich viele Autos. Es hat den Anschein, dass die meisten Tagesbesucher nur ein kleines Stück von der Pont du Galetas den Berg hochfahren, ein wenig gucken und wieder umkehren.
Wir durchfahren den Ort und ich entdecke im Vorbeifahren einen Foodtruck in der Ortsmitte. 700 Meter hinter dem Ortsausgang können wir rechts hinunter schauen auf den Camping Municipal. Wir sehen einige Zelte und ein paar Wohnmobile auf dem Grasgelände zwischen den Bäumen stehen.
Das Einchecken geht schnell und der Platz ist sehr günstig. In Windeseile haben wir die Fahrzeuge abgestellt, haben Wäsche in der laufenden Waschmaschine und sitzen gemütlich an diesem Ort der Ruhe und des Friedens.
Unsere Nachbarn waren nicht ganz so friedlich. Die haben kurz nach unserer Ankunft ihre Sachen gnatzig zusammengepackt und sind wegfahren, um ein Stück weiter wieder alles aufzubauen.
-Hä? frage ich in die Runde. Was sollte das denn jetzt?
Wir verstehen es nicht, denn wir waren nicht besonders laut oder unfreundlich oder so. Und wir waren weder zu nah dran, noch haben wir deren Ausblick versperrt. Normalerweise verstehen wir uns eigentlich immer richtig gut mit den Nachbarn.
Wir werden immer besser darin, französische Anweisungen zu verstehen. Den Trockner darf man nur bei Regen benutzen. So soll Energie gespart werden. Wenn Sonne da ist, soll die Sonne auch genutzt werden. Sehr cool! Und zufällig stehen unsere Fahrzeuge direkt bei einer Wäscheleine. Praktisch!
Leider sind die anderen Beiden nicht so scharf auf Pizza vom Foodtruck wie ich, so dass sie dafür nicht nochmal zurück ins Dorf radeln würden. Also radle ich alleine ins Dorf, um drei Pizzen zu holen.
Als ich am Foodtruck an der Reihe bin, bittet der Pizzabäcker um Verzeihung und sagt, dass der Andrang groß sei und fragt, ob ich bis 22 Uhr warten kann. Was? Es ist erst acht!
- No, merci, entscheide ich schweren Herzens. Schadeschade! Gegenüber im Restaurant gibt es auch Pizza zum Mitnehmen.
Ich mache ein Foto der Karte, die auf der Theke ausliegt und schicke es Tatti und Susi, bestelle dann 3 Pizzen und setzte mich zum Warten an einen der Tische draußen. Ich betrachte das Geschehen auf und vor der Terrasse und genieße schweigend das Dabeisein inmitten dieses friedlichen kleinen Ortes.
Als wir zu essen beginnen, dämmert es schon und als wir fertig sind, ist es stockdunkel und kühl. Wir ziehen uns in unsere Fahrzeuge zurück und ich schnappe mir noch schnell meine nasse Kleidung und hänge sie im Wohnmobil auf. Ich bin besorgt, dass nachts Jemand etwas von der Wäscheleine klauen könnte. Tatti und Susi glauben an das Gute im Menschen.
Morgen werden wir das noch fehlende Puzzlestück unserer Verdun-Umrundung fahren, nämlich eine kleine Extrarunde, die hier beim Ort startet und noch weiter nach oben führt.